"Lebende Bücher" im "Nebeneinander-Modus" bei der ersten "Lebenden Bibliothek" online am 19.05.2020 | Screenshots: Florian Cristobal Klenk © ROPE

Die "Lebende Bibliothek" hat gestern eine besondere Premiere gefeiert: Wir haben uns online versammelt. Zum ersten Mal trafen sich "Leser*innen" und "Lebende Bücher" nicht wie gewohnt an einem Ort, um an einem Tisch sitzend über Vielfalt, Vorurteile und Diskriminierung zu sprechen. Stattdessen unterhielten sich insgesamt neun Bücher – Expert*innen für die Themenbereiche Heteronormativität, Dis*Ability, Rassismus und Klassismus aus Darmstadt und Marburg – und 37 Studierende der TU Darmstadt per Videochat.

Bisher war es die große Stärke der Lebenden Bibliothek, Menschen in einem Safe Space zusammenzubringen und intensive Unterhaltungen auf Augenhöhe zu ermöglichen. Unser Motto "Sprich mit Deinen Vorurteilen!" bedeutete in der Praxis: Triff Dich mit Deinen Vorurteilen, setz Dich zu Ihnen an einen Tisch und befrage sie. Eines unserer Lebenden Bücher, der Mann in Frauenkleidern, merkte dazu gestern an, dass es auch die "Konfrontation mit meiner Erscheinung" sei, welche interessante Anknüpfungspunkte für Gespräche biete.

"Ich sehe die Leute ja ohnehin nicht", war dagegen die Antwort eines blinden Buches von unserem Partnerprojekt "Lebendige Bibliothek" des bsj e.V. aus Marburg, dem wir an dieser Stelle herzlich für die Unterstützung danken! Aufgrund der vielen technischen Hilfsmittel für Blinde (z.B. Brillen, die Menschen erkennen oder von Papier vorlesen können) nahm sie den Einsatz von Medien nicht als störend für die interessanten Gespräche wahr. Rausgehen und treffen sei dennoch schöner, sobald es wieder möglich sei, so das Fazit.

Die "Lebende Bibliothek Online" war schon lange für den 19. Mai als "normale" Präsenzbibliothek ohne Abstand geplant – man könnte sagen, eine gewisse Distanzlosigkeit, die Grenzen respektiert, gehört zum Konzept. Im Rahmen des Projekts "Diversity goes digital: Digitalisierung als Instrument zur Stärkung demokratischer Teilhabe" sollten Pädagogik- und Lehramtsstudierende die Bücher treffen. Die Gespräche sollten einerseits die Studierenden für Diversity-Themen sensibilisieren, andererseits sollen die gewonnenen Informationen und Eindrücke in illustrierte Kurzfilme, sog. "Erklärfilme", einfließen, die zeigen, was es bedeuten kann, anders zu sein.

Das Projekt ist eine Kooperation von Netzwerk ROPE e.V., dem Praxislabor des Instituts für Allgemeine Pädagogik und Berufspädagogik der Technischen Universität Darmstadt, der Darmstädter Illustratorin Ka Schmitz und dem Bereich Fachdidaktik Chemie der Technischen Universität Darmstadt. Wir erhalten dafür Fördergelder des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms "Demokratie leben!".

Das erste Experiment "Lebende Bibliothek Online" hat insgesamt hervorragend funktioniert – sogar die Technik hat mitgespielt. Manche Bücher und Leser*innen sehen Vorteile darin, anderen fehlt der direkte Kontakt. Die vollständige Digitalisierung der Lebenden Bibliothek planen wir indes nicht. Kopräsenz, sich im physischen Raum treffen und das Gegenüber mit allen Sinnen gleichzeitig wahrzunehmen sind zu wichtige Faktoren (nicht nur) in den Gesprächssituationen, welche die Lebende Bibliothek ausmachen.

Allerdings hat unsere erste Erfahrung gezeigt, dass eine "Onleihe" über den Corona-Krisenmodus hinaus eine gute Ergänzung zu Präsenzbibliotheken sein kann: Zum Beispiel könnten Bücher, die nicht so weit reisen können, unkompliziert an Lebenden Bibliotheken in anderen Städten teilnehmen. Auch für Leser*innen, die sich nicht so einfach in die nächste Bibliothek vor Ort begeben können, bietet sich damit die Möglichkeit, sich von zu Hause aus in eine Videolesung einzuklinken.

In diesem Sinne hoffen auch wir, dass Treffen bald wieder möglich sein werden. Bis dahin arbeiten wir weiter an digitalen Formaten.

Projekt "Diversity goes digital: Digitalisierung als Instrument zur Stärkung demokratischer Teilhabe"

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