Nach der ersten erfolgreichen Lebenden Bibliothek auf dem Stadtteilfest in Darmstadt-Eberstadt im Sommer fand am 21. November 2010 die zweite Lebende Bibliothek statt. Im Gegensatz zur ersten Veranstaltung war die Lebende Bibliothek in Darmstadt-Kranichstein als Stand-Alone-Veranstaltung konzipiert, d.h. sie war nicht Teil einer größeren Veranstaltung wie in Eberstadt und musste ihr Publikum dementsprechend selbst finden. Da also 'Laufkundschaft' nicht zu erwarten war, setzten wir im Vorfeld der zweiten Lebenden Bibliothek verstärkt auf Werbung im Stadtteil, informierten aber auch im gesamten Darmstädter Raum, vor allem durch unsere Lesezeichen, die wiederum über die Stadtbibliothek Darmstadt und deren Zweigstellen verteilt wurden, sowie durch ein eigens entworfenes Plakat.

Insgesamt nahmen 20 Lebende Bücher an der Veranstaltung teil. Diese berichteten nach der Lebenden Bibliothek von qualitativ hochwertigen Gesprächen, die sie geführt hatten. Auch die Atmosphäre im Bürgersaal des Luise-Büchner-Hauses wurde als sehr angenehm empfunden. Die Idee, eine Lebende Bibliothek – anders als meist üblich – in der Stand-Alone-Variante durchzuführen, ging also, gerade im Vergleich der beiden Veranstaltungen in Darmstadt-Eberstadt und Darmstadt-Kranichstein bzw. aus Sicht der Lebenden Bücher voll auf, jedenfalls was die Qualität der geführten Gespräche angeht.

Im Hinblick auf die BesucherInnenzahlen und Ausleihen, fiel die Stand-Alone-Veranstaltung dagegen etwas hinter die Zahlen der Veranstaltung in Darmstadt-Eberstadt zurück, womit wir aber gerechnet hatten.

Für die Auswertung der zweiten Lebenden Bibliothek standen uns 27 anonyme Auswertungsbögen zur Verfügung, die von Besucher/-innen der Veranstaltung im Anschluss ausgefüllt wurden.

Insgesamt gab es 100 Ausleihen von Lebenden Büchern!

In den Auswertungsbögen fragten wir zunächst, wie die Besucher*innen die "Idee der Lebenden Bibliothek" grundsätzlich finden. Es konnten Noten von 1 (sehr gut) bis 6 (sehr schlecht) vergeben werden. Die Besucher*innen vergaben im Schnitt die Note 1,2. Die "Auswahl" der Lebenden Bücher bzw. der "Buchtitel" erhielt die Durchschnittsnote 1,5. In Ergänzung zu dieser zweiten Frage konnten die Besucher*innen angeben, welche Buchtitel, sie sich zusätzlich gewünscht hätten bzw. welche Titel sie gerne noch 'gelesen' hätten:

junge Eltern

Politiker

Polizist

ehemalige Inhaftierte

ein christliches Buch

Prostituierte

Im offenen Teil des Auswertungsbogens konnten die Besucher*innen Kommentare zu verschiedenen Aspekten der Lebenden Bibliothek abgeben. Gelobt wurden hier besonders die Organisation, die Offenheit der Veranstaltung sowie die ungezwungene Atmosphäre. Ein Besucher verglich das Gespräch mit den Lebenden Büchern mit einer Talkrunde, in der vielfältige Informationen ausgetauscht werden können. Ein anderer äußerte sich wie folgt über die Lebende Bibliothek:

"Ich muss kein Buch lesen, sondern kann Fragen stellen. Es gibt Gesichter zu den Büchern. Ich darf das Leben mit jemandem teilen."

"Der Aspekt der "unmittelbaren" statt einer (literarisch oder journalistisch bzw. durch Medien) vermittelten Auseinandersetzung mit Menschen, deren Biographie, Themen und Erfahrungen, wurde mehrfach durch die Besucher*innen als positives Erlebnis hervorgehoben".

Weitere Aussagen darüber, was den Besucher/-innen an der Lebenden Bibliothek besonders gefallen hat, waren:

"Die Möglichkeit Menschen zu begegnen und kennen zu lernen, die außerhalb des normalen Einflussbereichs und Umfelds liegen."

"Dialog wird durch den Dialog gefördert. Es wird die Möglichkeit gegeben, ohne Angst und Scheu, Fragen zu stellen und jemanden kennen zu lernen - auch die Möglichkeit, Vorurteile abbauen zu können."

"Der persönliche Kontakt - ein Gesicht sehen und kommunizieren können."

Über den Auswertungsbogen wollten wir auch mehr darüber in Erfahrung bringen, wie die Besucher*innen auf die Veranstaltung aufmerksam geworden sind.

17 von 27 Besucher*innen geben an, über Freunde und Bekannte von der Lebenden Bibliothek erfahren zu haben ("Mund-zu-Mund-Propaganda"), nur wenige wurden über die Lesezeichen (6 Nennungen), die Plakate (2 Nennungen) oder die Webseite (3) www.lebende-bibliothek.de auf die Veranstaltung aufmerksam.

Dies zeigt, dass eine Veranstaltungsform wie die Lebende Bibliothek in erster Linie dann Besucher*innen anlockt, wenn sie – wie bei einem Stadtteilfest - von Laufkundschaft profitieren kann bzw. die nicht immer auf Anhieb zu verstehende Idee, sich mit Menschen zu unterhalten, die als Lebende Bücher auftreten, von den Organisator*innen vor Ort erläutert werden kann.

Für die Bewerbung einer Stand-Alone-Variante stellt sich analog die direkte (erläuternde) Kommunikation bzw. die Mund-zu-Mund-Propaganda als erfolgreiches Modell heraus; andere Formen der Werbung müssen entsprechend im Hinblick auf ihre Reichweite und v.a. Erklärungskraft noch einmal überprüft und für mögliche weitere Veranstaltungen weiterentwickelt werden.

Zum Abschluss bekam die Lebende Bibliothek vielfach großes Lob:

"Es ist eine sehr gute Idee und Möglichkeit in Dialog zu kommen und das Unbekannte kennen zu lernen. Ich empfand es sehr positiv, die Gelegenheit zu haben, offene Fragen stellen zu können. Auch die Lebenden Bücher waren sehr offen und haben auch ggf. persönliche Fragen beantwortet.

"Die Lebende Bibliothek muss zur festen Veranstaltung werden!!"

"Wenn es das nicht schon geben würde, müsste es noch erfunden werden."

Auch die Lebenden Bücher wurden von Netzwerk ROPE e.V. mittels eines Auswertungsbogens zu ihren Eindrücken von der Veranstaltung befragt. Die Erfahrung, ein Lebendes Buch zu sein, wurde von den Lebenden Büchern im Durchschnitt mit der Note 1,1 bewertet. Besonders positiv hervorgehoben wurden in der Kommentierung die Möglichkeit, neue Menschen kennenzulernen und sich mit ihnen auszutauschen sowie die Offenheit der Menschen und der Rahmen der Veranstaltung. Eines der Lebenden Bücher hätte sich "ein bisschen mehr 'Publikumsverkehr'" gewünscht.

Nach Auffassung der Lebenden Bücher wurde die Veranstaltung dem Ziel gerecht, "für die Gefahren von Vorurteilen zu sensibilisieren bzw. sich kritisch mit den eigenen Vorurteilen auseinander zu setzen" (Note 1,6).

Dies ist ein besonders wichtiger und aufschlussreicher Hinweis für uns als Organisatoren der Lebenden Bibliothek, insofern er zu bestätigen scheint, dass die Lebende Bibliothek methodisch prinzipiell geeignet scheint, sich mit der Vorurteilsthematik auseinanderzusetzen.

Gleichwohl nehmen wir die Bemerkung eines der Lebenden Bücher sehr ernst, der in seinem Auswertungsbogen vermutete,

...dass "wahrscheinlich auch mehr jene Personen [zur Lebenden Bibliothek kommen], die eh bereit sind, sich kritisch [mit ihren Vorurteilen] auseinander zu setzen."

Oder anders formuliert: Ob diejenigen, die am meisten von dem 'Lern-Angebot' einer Lebenden Bibliothek profitieren könnten, dieses auch tatsächlich annehmen (wollen/können), ist ungewiss.

Dementsprechend muss über die Frage der "Zielgruppenerreichung" genauer nachgedacht bzw. in jedem Falle einer bestimmten "Zielgruppe" deren Voraussetzungen, deren Lernbereitschaft und -möglichkeiten genau analysiert und die Veranstaltung entsprechend zielgruppengerecht adaptiert werden.

Gerade im Hinblick auf einen möglichen Einsatz der Lebenden Bibliothek im schulischen Kontext wird es auf eine gründliche Erkundung im Vorfeld der Veranstaltung ankommen bzw. sind vor- und nachbereitende Formate unerlässlich, damit sowohl die Besucher*innen oder LeserInnen, aber auch die Lebenden Bücher und das Bibliothekspersonal (bei uns: "Lebendes Team") tatsächlich nachhaltig von einer solchen Veranstaltung profitieren können.

Wir danken allen Lebenden Büchern und den Besucher*innen nochmals herzlich für ihre Auswertung!!!

Das Lebende Team :-)

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